Amtliche Entscheidungen sind scheu wie junge Mädchen.
Wenn man Germanistik studiert hat, ist es immer peinlich einzugestehen, wenn man große deutschsprachige Klassiker nicht gelesen hat. Zu meiner Verteidigung kann ich nur sagen, dass ich in Ungarn studiert habe und wir uns mit der Germanistik aus der Perspektive einer Fremdsprache befasst haben, sodass die Schwerpunkte anders verteilt waren, als hätte ich in Deutschland studiert. Aber ehrlicherweise muss ich auch hinzufügen, dass mir Die Verwandlung, im Gymnasium eine Pflichtlektüre, nicht viel Lust auf Kafka gemacht hat. Heute finde ich das sehr schade, und ich bin auch überzeugt davon, dass man manche Bücher, die man in der Schule nicht gemocht hat, später wieder lesen sollte. Nachdem wir bereits einige Erfahrungen im Leben gesammelt haben, lassen sich diese Bücher oft ganz anders lesen.
Das lässt sich jetzt zwar schwer beurteilen, aber ich glaube, dass ich als Jugendliche auch mit Das Schloss weniger hätte anfangen können. Nachdem ich aber nun einige amtliche Gänge hinter mir habe und auch oft genug irgendwelcher (angeblich) beruhigender Musik in der Warteschleife zugehört habe, erscheint mir die von Kafka erschaffene Welt in diesem Roman zwar verrückt, sie kommt mir aber auf eine unheimliche Art und Weise auch bekannt vor.
Der Roman erzählt die Geschichte von K., der eines Abends in einem Dorf ankommt und nach einer nächtlichen Unterkunft suchend in einen Gasthof einkehrt. Zunächst wird ihm ein Platz am Ofen angeboten, doch dann wird er aus dem Schlaf gerissen und er erfährt, dass in diesem Dorf Fremde nicht gern gesehen sind, vor allem dann nicht, wenn sie etwas länger verweilen wollen. Als er daraufhin verrät, dass er vom Grafen als Landvermesser eingestellt wurde und deshalb hier ist, wird seine Aussage mit einem Anruf ins Schloss überprüft. Seine Situation kann zwar nicht ganz eindeutig geklärt werden, aber vorerst zumindest darf er bleiben.
K. nimmt sich daraufhin vor, im Schloss seine Einstellung und seine Aufgaben zu klären – und damit beginnt sein Spießrutenlauf. Er unternimmt einen Versuch nach dem anderen, ins Schloss zu kommen oder zumindest mit einem Beamten aus dem Schloss zu sprechen. Für die Dorfbewohner ist er nicht nur ein Außenseiter, er scheint auch schwer vom Begriff zu sein, weil er die Arbeitsweise der unzähligen Schlossbeamten nicht zu verstehen scheint. Für die Leute im Dorf ist es das Natürlichste überhaupt, dass man sich dem Willen des Schlosses fügt, dass man die Entscheidungen der Beamten nicht hinterfragt, dass man – wenn nötig – Jahre auf eine Antwort wartet, und auch dann nicht verzweifelt, wenn diese Antwort niemals kommt.
Frauen haben im Dorf daneben noch die besondere Ehre, eventuell zur Geliebten eines Beamten werden zu können, was ja gut ist, sind sie doch alle in die Beamten verliebt (und wenn doch nicht, werden sie geächtet). Da fragt man sich natürlich, was für ein Bild Kafka über Frauen hatte, schmeichelhaft ist das jedenfalls nicht, wie er das Liebesleben dieser Frauen darstellt.
Der Roman zieht den Leser in seinen Sog. Auch wenn das Tempo langsam ist, kann man nicht anders, als immer weiter zu lesen. Zwar ohne Hoffnung, dass eine unerwartete Wendung kommt, eher fasziniert von dieser surrealen Welt mit ihren surrealen Figuren. Das Buch endet dann aber abrupt, Kafka hat es nie beendet. Meine Ausgabe beinhaltete noch ein Nachwort von Norbert Gstrein, aus dem man über die Pläne Kafkas zum Ende des Romans erfahren kann und auch Gstrein teilt hier seine eigenen Ideen dazu. Mir hat jedoch nichts gefehlt, der abrupte Abbruch der Geschichte lässt sie in meinem Kopf weiterlaufen und ist der perfekte Schluss für so eine unendliche Geschichte.
Das Äußere eine Buches ist für mich meistens völlig unwichtig, aber schöne Bücher sind natürlich trotzdem immer ein Genuss. Deshalb muss ich in diesem Fall auch das zu Wort bringen. Der Menasse Verlag hat ein kleines Kunstwerk geschaffen, das trotz der kleinen Größe sehr gut leserlich ist. Ich habe dieses Buch sehr gerne mit mir getragen, es passte in jede Tasche perfekt.
An dieser Stelle möchte ich mich beim Manesse Verlag und dem Bloggerportal ganz herzlich für das Rezensionsexemplar bedanken.
Der erste Satz:
Es war spät abends, als K. ankam.
Weitere Meinungen zum Buch:
literakt (Achtung, nackter Mann mit Buch auf dem Bild – ist aber jugendfreundlich, und seine Meinung zum Buch absolut lesenwert)
Bücheratlas – hier geht es um die historisch-kritische Ausgabe des Buches, die würde ich auch mal gerne in der Hand halten
Impressum:
Autor: Franz Kafka
Titel: Das Schloss
Seitenzahl: 608
Verlag: Manesse
Erschienen: 2018
© Manesse Verlag
Ein Kommentar zu „8/478 | Franz Kafka: Das Schloss“