Kenah Cusanits Debütroman hat ein faszinierendes Setting. Es ist 1913, wir sind unweit von Bagdad, wo ein deutscher Archäologe seit etwa 15 Jahren dabei ist, das aus der Bibel bekannte Babylon (samt Turm) auszugraben. Koldewey ist studierter Architekt und vielleicht ist das der Grund, warum er so methodisch an seine Grabungen herangeht. Die Wissenschaft der Archäologie hat eine Weile gebraucht, um sich zu entwickeln, in den ersten Jahrzehnten war keine Methode in den Grabungsarbeiten zu entdecken. Ein bekanntes Beispiel dafür ist Heinrich Schliemann, der Funde von diversen Orten und aus diversen Schichten zusammenmischte, damit er einen besseren Eindruck macht, und die ausgegrabenen Schmuckstücke von seiner Frau tragen ließ. Insgesamt ging es den meisten sogenannten Archäologen in erster Linie darum, wertvolle Stücke ins Heimatland zu verschiffen, als Geschichte und das Leben alter Kulturen aufzudecken.
Koldewey ist da ganz anders. Er macht genaue Skizzen, geht behutsam vor. Als er aus Berlin gedrängt wird, mehr Fundstücke nach Hause zu schicken (die Engländer und Franzosen sind ja den Deutschen bereits weit überlegen in dieser Hinsicht), packt er kleinste Fundstücke zusammen – und wir können nun heute alle in Berlin das Ischtar-Tor bewundern.
Ein faszinierender Mensch, eine spannende Grabung und eine noch spannendere Zeit in unserer Geschichte der Gegenwart, kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs.
Dieses Material müsste ein entsprechend großartiges Buch ergeben, tut es aber leider nicht. Wir erleben im Buch einen kranken Koldewey, der über jeden herzieht und letztendlich 260 Seiten braucht, um sein Zimmer zu verlassen. Im Buch mischen sich Zitate aus damaligen Briefwechseln, die Koldewey und die Ausgrabung ein wenig ins Lächerliche ziehen. Ich musste beim Lesen einige Male schmunzeln, fand es aber gleichzeitig auch sehr schade, dass die Autorin so viel Gewicht auf nichtige Geschichten legte.
Insgesamt fehlte mir jede Spannung aus dem Buch. Es hat keinen Rhytmus, keinen Sog, auch wenn die Sprache durchaus schön war. Während ich es gelesen habe, stieß ich jedoch immer wieder Kritiken von namhaften Literaturkritikern, die alle durchweg vom Buch hingerissen waren. Ijoma Mangold bereitete es ein „intellektuelles Vergnügen“, für Denis Scheck ist dieses Buch „turmhoch allem überlegen, was sonst in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur in diesem Frühjahr erscheint“.
Ich wünschte, ich hätte das Buch genauso erlebt, und wünsche deshalb anderen Lesern, dass sie eine andere Erfahrung mit dem Buch machen, als ich.
Diverses
Der erste Satz:
Buddensieg, sagte Koldewey, als sie nach Tagen oder Wochen Konstantinopel erreichten, und wies in eine Richtung, von der beide wussten, wohin sie führte.
Impressum:
Autor: Kenah Cusanit
Titel: Babel
Seitenzahl: 267
Verlag: Hanser
Erschienen: 2019
© Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
Leider nein, wie Du schon weisst …
Ja, und auch bei anderen lese ich Ähnliches… bin gespannt, ob das Buch den Preis der Leipziger Buchmesse bekommt.
Das glaube ich nicht. Ich tippe auf Anke Stelling, obwohl ich mir Nawrat wünschen würde.