Anja Baumheier: Kastanienjahre

Kastanienjahre Rezension

Nach ihrem Debütroman „Kranichland“ letztes Jahr erschien nun beim Wunderlich Verlag der zweite Roman „Kastanienjahre“ von Anja Baumheier. Der Verlag setzt ein klares Zeichen mit dem Cover. Dessen Ähnlichkeit mit dem des Erstlingwerks spricht dafür, dass der Verlag eine eindeutige Verbindung zur Autorin erstellen möchte, beim ersten Anblick des Buches. Und es verspricht auch ein ähnliches Thema.

Da mir der erste Roman gut gefallen hat, habe ich mich schon auf „Kastanienjahre“ gefreut. Enttäuscht wurde meine Erwartung und Freude nicht, auch wenn mich „Kranichland“ insgesamt mehr mitgerissen hat. Dafür warf „Kastanienjahre“ neue Themen und Fragen auf, die mich noch eine Weile nachdenken ließen.

Kastanienjahre

Elise lebt nun seit 20 Jahren in Paris. Damit hat sie einen alten Traum verwirklicht, in der französischen Hauptstadt eine eigene Boutique zu betreiben. Dass sie diesen Traum verwirklichen konnte, ist schon ein kleines Wunder, wenn man bedenkt, dass sie in einem kleinen Dorf an der Ostseeküste, in Peleroich aufgewachsen und ihre Kindheit auf die 60er Jahre gefallen ist. Das Dorf lag damals direkt an der Grenze zwischen DDR und BRD – auf der östlichen Seite. Jetzt soll das Dorf abgerissen werden, und damit werden alte Erinnerungen wieder zu Leben erweckt.

Elise hatte in ihrer Jugend zwei große Lieben, Jakob und Henning. Sie stand kurz davor, sich für einen der beiden endgültig zu entscheiden, als eines Tages Jakob spurlos verschwunden ist. Was ist damals passiert? Und wer schreibt jetzt plötzlich Briefe an Elise und will ihr die Wahrheit darüber erzählen, was damals wirklich vorgefallen ist? Lebt Jakob noch?

Die Geschichte spielt zur einen Hälfte in der Gegenwart, wir begleiten Elise zurück in ihr Heimatdorf udn treffen dabei alle früheren Einwohner, die heute noch leben. Parallel dazu erfahren wir immer mehr darüber, was in der Vergangenheit passiert ist, die beiden Zeitebenen nähern sich zum Ende immer mehr an.

Lesenswert?

Es ist eine interessant geschriebene, teilweise sogar sehr spannende Geschichte, die zum Glück über die Dreiecksgeschichte hinausgeht. Die Erzählung der Vergangenheit beginnt mit der Gründung der DDR, Politik und Alltagsleben lassen sich ab diesem Punkt selten trennen. Anja Baumheiers Wissen über die damaligen Zeiten habe ich schon in ihrem Debütroman bewundert, und auch hier erzählt sie auf eine Weise, die ihr Alter (gerade mal 40 Jahre) nicht vermuten lässt.

Sie schreibt flüssig, mit einem sehr guten Stil, der immer weiter lesen lässt. Ihre Charaktere leben und wecken Mitgefühl, Interesse, Anteilnahme. Sie arbeitet inzwischen routiniert mit zwei parallel erzählten Handlungssträngen, das ist ihr bereits in „Kranichland“ gut gelungen. Wünschenswert wäre trotzdem – in einem nächsten Roman – weitere Erzähltechniken von ihr zu sehen. Denn das, was sie bereits in ihrem ersten Roman geschafft hat, schafft sie zwar auch diesmal, aber irgendwie wirkt das nun wie eine Wiederholung.

Die aufgeworfenen Themen und Gedanken machen das Buch insgesamt aber auf jeden Fall lesenswert. Sie erschafft ein kleines Dorf an einer heute nicht mehr existierenden Staatsgrenze. Diese Grenze und die Politik greifen auf eine Weise in das Leben der Figuren ein, was für uns heute kaum vorstellbar ist.

Über die Entstehungsgeschichte des Romans gefragt erzählt Anja Baumheier über ihre „Stadtflucht“, bei der sie auf abgerissene Dörfer gestoßen ist. So entstand die Kulisse für den Roman, Peleroich. Das Dorf selbst existiert nur in ihrer Fantasie, die Dorfbewohner hat sie jedoch nach lebenden Vorbildern erschaffen, nach vielen Unterhaltungen mit Menschen, die in solchen Dörfern gelebt haben. Ihnen hat sie mit diesem Roman eine Stimme gegeben, die sonst nicht oder kaum gehört wird.

Über die Autorin

Anja Baumheier wurde 1979 in Dresden geboren und hat ihre Kindheit in der DDR verbracht. Nach dem Abitur studierte sie Spanisch und Französisch in Potsdam und Granada. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Berlin und arbeitet als Lehrerin für Französisch und Spanisch an einer Berliner Schule. 2018 erschien mit „Kranichland“ ihr erster Roman.


Diverses

Vielen Dank an dieser Stelle an den Rowohlt Verlag für das Rezensionsexemplar.

Weitere Meinungen zum Buch:

Der erste Satz:

Madame Petersen, haben Sie einen Termin?

Impressum:

Autor: Anja Baumheier
Titel: Kastanienjahre
Seitenzahl: 416
Verlag: Wunderlich
Erschienen: 2019
© Wunderlich

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