Behrouz Boochani: Kein Freund außer den Bergen

Behrouz Boochani Kein Freund außer den Bergen

Auf der Insel Manus, die zu Papua-Neuguinea gehört, hat Austraien 2001 ein Lager für Asylsuchende eröffnet. Wobei das Wort Lager eigentlich nur verschönert, was das hier tatsächlich war: ein Gefängnis. Das Manus Regional Processing Centre (MRPC) wurde von der australischen Regierung bewusst außerhalb ihres Landes eröffnet, damit Flüchtlinge, die auf dem Seeweg aus Iran, Pakistan, Sri Lanka, Afghanistan und anderen Ländern hier eintrafen, ja nicht australisches Hoheitsgebiet betreten. Die sogenannten Boatpeople wurden mit Militärschiffen aufgegriffen und hierher verfrachtet. Eine offizielle Festnahme oder gar Anklage fand nie statt. Die Flüchtlinge hatten immer wieder die Wahl, entweder nach Hause zurückzukehren, oder unter unmenschlichen Umständen auszuharren und auf eine bessere Zukunft zu hoffen. Unglaublich, aber dieses Lager wurde erst 2017 aufgelöst. Das Schicksal mancher Insassen ist bis heute ungeklärt.

Einer dieser Insassen war Behrouz Boochani, ein Journalist aus Iran. Er ist aus seiner Heimat geflohen, als seine Kollegen verhaftet wurden. Er befand sich an dem Tag nicht in der Redaktion und konnte so die Flucht ergreifen. Er kam nach Indonesien und versuchte hier per Schiff nach Australien zu kommen. Bei seinem ersten Versuch sank sein Schiff, er überlebte um eine Haaresbreite. Sein zweiter Versuch brachte ihn auf die Insel Manus. Das war 2013. Er kam erst sechs Jahre später frei im November 2019 – allerdings erstmal mit einem Visum für nur einen Monat.

In diesem Buch schreibt er über das Leben im Gefängnis. Das Buch entstand in enger Kollaboration mit seinem Übersetzer, dem er über ein Handy den Text per SMS übermittelte. Praktisch Satz für Satz. Der Übersetzer, Omid Tofighian erschuf in Zusammenarbeit mit anderen aus diesen Sätzen das Buch. Es gibt deshalb kein persisches Original in dem Sinne, als Original und somit auch als Ausgang für jegliche Übersetzungen gilt die englischsprachige Fassung.

Die Vorgeschichte klingt unheimlich spannend. Ich habe zuvor noch nicht von diesem Gefängnis auf Manus gehört, auch Boochanis Name war mir neu. Dass ich mich auf das Buch gefreut hätte, wäre angesichts des Themas eine schlechte Wortwahl, aber ich war auf jeden Fall sehr gespannt darauf, mehr über Manus und Boochani zu erfahren.

Leider erschloss mich dieses Buch nur sehr schwer. Die ersten etwa hundert Seiten waren ein echter Kampf ums Weiterlesen. Es ist ein ungewöhnlicher Schreibstil, den man hier erlebt. Prosa und Lyrik wechseln sich ab, und das an sehr unerwarteten Stellen. Dazu kommt, dass ich mit Lyrik wenig anfangen kann, es gibt kaum Lyriker, die ich gerne lese. Mit Boochanis Verszeilen konnte ich überhaupt nichts anfangen. Ich kann mir vorstellen, dass die Eigenheiten des Textes einen Einblick in die persische Literatur gewehren, kann es aber nicht wirklich beurteilen, ob das so ist. Ich fand auch manche Gedanken befremdlich, wie den Gedankengang darüber, ob die Sicherheitsleute, die die Flüchtlinge über Kameras überall, so auch auf der Toilette beobachten konnten, ihre Penisgrößen vegleichen.

Wahrscheinlich ist in der Geschichte des weltweiten Flugverkehrs nie jemand mit weniger Gepäck gereist als ich. Da waren nir ich, die Kleider, die ich am Leib trug, ein Gedichtband, ein Päckchen Zigaretten und meine Männlichkeit.

Seite 98

Diese Art von Gedankengängen sind jedoch eher selten im Buch, und wenn sie vorkommen, dann zeugen sie auch davon, wie elend es einem im Gefängnis ergeht. Man hat nichts mehr. Kein Eigentum, keine Rechte, keinen Namen (Boochani hatte die Nummer MEG45) – und auch die Würde wird einem genommen.

Um das Buch lesen zu können, habe ich ab einem Punkt die Verszeilen übersprungen, und das hat das Lesen enorm erleichtert und das Leseerlebnis verbessert (im Nachgang habe ich einzelne Verse gelesen, und so haben sie mir deutlich besser gefallen). Das Buch behielt trotzdem seine Eigentümlichkeit, in dem es viel mehr daran interessiert war, eine Philosophie des Gefangenseins und dieses speziellen Gefängnisses zu entwickeln und ein literarisches Experiment durchzuführen. Die ganze Vorgeschichte über Manus und Boochani kann man praktisch nur durch Internetrecherchen erschließen, sie stehen so nicht im Buch, und viele Geschehnisse im Gefängnis werden vage gehalten und ins Symbolische übertragen. Besonders schwer war nachvollzuziehen, wann was passiert, wieviel Zeit zwischen einzelnen Abschnitten vergangen ist. Die Stimme ändert sich auch immer ein wenig. Ans Ende ist noch ein Essay des Übersetzer angeschlossen, das vieles von diesen Sonderbarkeiten erklärt. So erfährt man auch, dass die einzelnen Kapitel zu sehr unterschiedlichen Zeiten und Umständen entstanden sind.

Möglicherweise funktioniert das Buch besser, wenn man über Manus bereits Bescheid weiß und keine Fakten erwartet, sondern einfach nur sehr persönliche Eindrücke, die durch den eigentümlichen Filter eines Künstlers gegangen sind. Mir fehlten diese Vorkenntnisse, bin aber trotzdem froh, das Buch gelesen zu haben. Es wird nicht zu meinen Lieblingslektüren des Jahres gehören, ich werde mich aber sicherlich noch lange an Boochani erinnern und über dieses Leseerlebnis, aber auch über Manus nachdenken.

Und das ist der Grund, warum ich trotz meiner eher negativen Beurteilung hier eine Leseempfehlung ausspreche.


Diverses

Herzlichen Dank an dieser Stelle an das Bloggerportal für das Rezensionsexemplar.

Meine Bewertung:

Bewertung: 3 von 5.

Der erste Satz:

Es gibt eine Insel, fernab von allem, in einem verschwiegenen Ozean, und dort werden Menschen gefangen gehalten.

Impressum:

Autor: Behrouz Boochani
Titel: Kein Freund außer den Bergen
Übersetzung aus dem Englischen: Manfred Allié und Gabriele Kemof-Allié
Seitenzahl: 448
Verlag: btb
Erschienen: 2020
© btb Verlag

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