Globalisierung im Mittelalter? Das klingt erstmal zu hoch gegriffen. Doch die Historikerin Valerie Hansen zeigt in ihrem Buch ein Bild der Welt vor 1000 Jahren, in dem Menschen und Waren durch den ganzen Globus ziehen. Aus dem Norden gelangen die Wikinger nach Amerika, wo bereits reges Leben zwischen den einheimischen Völkern herrscht. Ebenfalls die Skandinavier sind es, die mit ihren Fernhändlern Bewegung nach Osteuropa und dem heutigen Russland bringen. Die Beziehungen zwischen Afrika und Asien sind weitreichender, als jemals gedacht, und dass die Chinesen bereits damals gut darin waren, Produkte in großen Mengen herzustellen und diese zu verkaufen, ist das, was am wenigsten überrascht.
Im Jahr 1000 wurde durch die Reisen der Wikinger der globale Kreis geschlossen. Zum ersten Mal hätte ein Gegenstand oder eine Nachricht um den ganzen Erdball reisen können.
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Die Autorin bringt uns auf eine spannende Weltreise und erzählt in einer seh verständlichen Sprache. Es ist, als säße man in ihrem Auditoium an der Yale University und würde ihrem Vortrag lauschen. Aus diesem Gefühl heraus habe ich auf Youtube nachgeschaut, und tatsächlich kann man Aufnahmen von Valerie Hansens Vorträgen finden, zum Beispiel diese hier, in der es um das Thema dieses Buches geht. Dieses Seminar gab ihr übrigens den Ansporn, das Buch überhaupt zu schreiben, denn hier zeigte Mary Miller, Kunsthistorikerin und Spezialistin für prekolumbianische Kunst ein Bild aus Chichén Itza, auf dem ein Mann mit blonden Haaren geopfert wird. Konten Skandinavier bis ins Reich der Maya gelangen? Die ganze Aufnahme ist sehr empfehlenswert, ganz besonders als Historiker Anders Winroth über einen Hasen erzählt, den einige Studenten fangen wollten, aber da schwedische Hasen nun mal klug sind, ging das nicht so wie geplant – und das Unterfangen endete mit einer großartigen archäologischen Entdeckung.
Wir in Europa neigen dazu, wenn es um die Entdeckung der Welt geht, diese um das 15. Jahrhundert anzusiedeln, als europäische Entdecker sich auf den Weg machten. Zu sehen, welche und wie weitreichende Beziehungen es bereits hunderte Jahre davor auf den unterschiedlichen Kontinenten gab, verändert dieses verzerrte Weltbild. Diese Beziehungen lassen sich heute in vielen Fällen nur mithlife von archäologischen Funden nachweisen, wie zum Beispiel ein Fund in der Chaco Canyon im heutigen New Mexico. Hier hat man in Topfscherben Rückstände von Schokolade gefunden. Eindeutig eine Handelsware aus Mittelamerika von den Maya – also aus 3600 km Entfernung! Das muss man erstmal sacken lassen. Aber seien wir mal ehrlich, an manchen Tagen wäre auch für uns keine Strecke zu weit für ein bisschen Schokolade…
Um das Jahr 1000 lebten etwa 250 Millionen Menschen auf der Erde, nach anderen Schätzungen etwas mehr als 300 Millionen. In jedem Fall etwas weniger, als die Einwohnerzahl der USA ist heute. Die einzelnen Völker hatten sehr unterschiedliche Entwicklungsstufen, manche hatten bereits eine Schriftsprache, kannten sich mit Mathematik und Astronomie aus, andere waren weit davon entfernt. Doch die Sprache des Handels erwies sich als universal. Religion erwies sich in dieser Zeit auch als ein Mittel, neue Beziehungen zu knüpfen, die Entscheidung, welche Religion ein Volk oder ein Land annahm, hatte weitreichende Folgen – die bis heute in unserer Weltpolitik eine enorme Rolle spielen. Sich mit der Geschichte unserer Vorfahren zu befassen hilft wieder einmal zu verstehen, was heute um uns herum passiert.
Ein tolles, lesenswertes Buch.
Diverses
Vielen Dank an dieser Stelle an den C.H. Beck Verlag für das Rezensionsexemplar.
Der erste Satz:
Auf der Straße drängen sich die Kunden, die Perlencolliers aus Sri Lanka kaufen, Elfenbeinschnitzereien aus Afrika, mit Stabilisatoren konservierte Duftstoffe aus Tibet und Somalia, Fläschchen aus baltischem Bernstein und Möbel aus allen möglichen aromatischen Hölzern.
Impressum:
Autor: Valerie Hansen
Titel: Das Jahr 1000
Aus dem Englischen: Anna Leube und Wolf Heinrich Leube
Seitenzahl: 393
Verlag: C.H. Beck
Erschienen: 2020
© Verlag C.H. Beck oHG
Das Buch fand ich auch anregend. Und die Sache mit der Schokolade hat mir ebenfalls gefallen – zumal die Chili-Variante. Falls von Interesse – das wäre der Shortcut zu meiner Besprechung auf dem Bücheratlas: https://bit.ly/2Us6SJd .