Obwohl es mir bei Büchern natürlich immer erstrangig um den Inhalt geht, muss ich bei diesem Buch trotzdem hiermit beginnen: Der wbg Theiss Verlag hat hier einen wirklich wunderschönen Band herausgebracht. Tolles Cover und auch innen bestechen den Leser sage und schreibe 120 farbige Illustrationen. Und trotzdem hält man im engeren Sinne keinen Bildband in der Hand, sondern ein ausgesprochen gut recherchiertes, anspruchsvolles Sachbuch.
„Der Herr der Ringe“, „Der Hobbit“ – seitdem es die Filme von Peter Jackson gibt, rufen diese Titel Bilder von Neuseeland in uns hervor. Doch der Tolkien-Experte John Garth revidiert unser inneres Bild mit diesem Buch, damit wir Mittelerde wieder mehr so sehen, wie Tolkien es sah. Denn für ihn waren alle Geschichten rund um diese Fantasiewelt Teile eines großen englischen Legendariums. Es war sein ausgesprochenes Ziel, für England eine Geschichte zu erschaffen, wie andere Länder (wie zum Beispiel Griechenland oder die skandinavischen Länder) sie hatten. Denn die Legenden und Mythologien anderer Länder weckten Tolkiens Ehrgeiz, für England seine eigene Legende zu schreiben.
„Von Anfang an war ich bekümmert über die Armut meines eigenen geliebten Landes“, schrieb Tolkien. „Es besaß keine eigene Geschichte…, wie ich sie in den Sagen und Legenden anderer Länder suchte und fand.“
Seite 47
Doch was waren die Quellen für dieses große Werk? In elf Kapiteln geht Garth dieser Frage nach. Dabei zieht er nicht nur biographische Daten Tolkiens heran, er zitiert aus seinen weniger bekannten Gedichten, zeigt seine Zeichnungen und ergänzt das Ganze durch die Werke (Fotos, Gemälden, Karten) anderer Künstler. Es ist ein umfangreicheres Werk, als was man auf den ersten Blick vermuten würde. Die knapp über 200 Seiten sind neben den wie erwähnt zahlreichen Illustrationen mit kleingedrucktem Text gefüllt. Manches von Tolkiens Inspirationsquellen lässt sich relativ einfach erraten, im Auenland erkennt man unschwer einige englische Landschaften wieder, doch es gibt auch Überraschungen, wie zum Beispiel die nordamerikanischen Indianer als Vorbild für die Elben. Dabei leuchtet es eindeutig ein, wenn man auf die Parallelen wie Schießen mit Pfeil und Bogen und Naturnähe schaut.
John Garths Buch ist voll mit interessanten Geschichten, wobei Vieles natürlich auch er nur vermuten kann. Doch seine Vermutungen leuchten in den meisten Fällen ein, so auch die isländische Inspiration für die Höhlen der Hobbits oder die Schweizer Alpen als Vorbild für die Berge in Tolkiens Werken.
Für mich war dieses Buch voller Überraschungen – bereits damit angefangen, dass ich nicht gedacht hätte, dass man heute noch so viele Spuren entdecken kann für Tolkiens Inspirationen. Obwohl ich mich nicht als Tolkien-Kenner bezeichnen kann, habe ich in meiner Jugend doch einige seiner Werke gelesen, neben den offensichtlichen „Der Herr der Ringe“ und „Der Hobbit“ auch „Das Silmarillion“ und „Die Abenteuer des Tom Bombadil“. Doch erst jetzt wurde mir bewusst, dass Tolkien über große Teile seines Lebens an einem großen Werk gearbeitet hat, dass es hier Zusammenhänge gibt, die mir nie aufgefallen sind. Für andere Leser, die tiefer im Material stecken, wird das sicherlich nicht neu sein, aber ich bin überzeugt davon, dass John Garth auch sie mit vielen Details überraschen kann, von denen sie bis jetzt nicht wussten. Und aus diesem Grund kann ich dieses Buch sowohl Fans von Tolkien empfehlen, als auch denen, die immer wieder mal in seine Werke reingeschnuppert haben.
Diverses
Herzlichen Dank an dieser Stelle an Literaturtest für das Rezensionsexemplar.
Der erste Satz:
„Viele Rezensenten“, klagte Tolkien einmal, „scheinen anzunehmen, dass Mittelerde ein anderer Planet sei!“
Impressum:
Autor: John Garth
Titel: Die Erfindung von Mittelerde. Was Tolkien zu Mordor, Bruchtal und Hobbingen inspirierte
Aus dem Englischen: Andreas Schiffmann
Seitenzahl: 208
Verlag: wbg Theiss
Erschienen: 2021
© wbg Theiss Verlag