Bill François: Die Eloquenz der Sardine

Der Marlin besitzt streifen, deren ultraviolette Farbe auf genau die Wellenlänge geeicht ist, mit der sich Makrelen blenden lassen. Mit den Streifen vermittelt er nicht nur seinen Artgenossen seine Stimmung, sondern versetzt auch Makrelenschwärme in Schockstarre, indem er ihnen Blendsignale sendet, die sie nicht verstehen. In ihrer Panik ballen sich die Makrelen zu dichten Kugeln zusammen, in die der Marlin dann mit seinem Schwert sticht.

Seite 26

Dies ist nur eine der vielen verblüffenden Geschichten im Buch von Bill François, welches sich, wie auch der Auszug zeigt, keineswegs nur von Sardinen handelt. Es war aber eine Sardine, die die Liebe des Autors zum Meer und seinen Bewohnern entfachte. Als Kind hatte er eher Angst vor den Tiefen des Gewässers, doch ein Fisch machte ihn neugierig und versprach Spannendes. Heute erforscht der Autor die Hydrodynamik aquatischer Organismen, diese eine Sardine hinterließ einen bleibenden Eindruck.

Und wer wäre nicht fasziniert vom Meer mit seiner unglaublichen Vielfalt? Hier verschwinden die Farben, je tiefer wir tauchen, dafür geht es hier, ganz im Gegensatz zu dem, was man sich vorstellt, lauter vor als in einem Wald. Dass Wale singen, weiß jeder, aber dass ihr Gesang sich über Tausende Kilometer ausbreiten kann, ohne schwächer zu werden, war zumindest für mich neu. Auch Fische stellt man sich gemeinhin als stumme Wesen vor, doch sie produzieren auf jede erdenkliche Weise Laute:

Indem sie sich mithilfe eines speziellen Bauchmuskels auf den Bauch klopfen, können Umberfische krächzen, Barsche brummen und Knurrhähne knurren. Ihre Laute erinnern an Nebelhörner, Schlagzeugsolos oder Töne von Videospielen.

Seite 39

Als würde das nicht reichen, auch als Leser nun voll und ganz der Meereswelt ergeben zu sein, erfahren wir, dass die Schuppen der Fische ebenso aus Ringen bestehen, wie Bäume, und dass diese Ringe auch in diesem Fall das Wachstum zeigen. Jeder Ring steht für eine wichtige Episode im Leben des Fisches und jede Schuppe kann die Geschichte dieses Fisches erzählen. Und was für Geschichten das sind! Man denke nur an den Plattfisch, dessen Augen zunächst wie bei anderen Fischen an beiden Seiten des Körpers platziert sind, sich aber mit der Zeit immer mehr nähern, um irgendwann nebeneinander zu sein, um nun mehr in einem ganz platt gewordenen Körper die Welt vom Meeresboden her zu betrachten, immer nur nach oben zu schauen…

Letzten Schätzungen zufolge leben im Meer 2,2 Millionen Arten – die Milliarden Bakterienarten nicht mitgezählt –, von denen der Mensch bislang allerdings noch keine zehn Prozent erfasst hat.

Seite 169

Bill François erzählt auf eine mitreißende Art und Weise und konzentriert sich dabei nicht nur auf die schöne Seite des Meereslebens. Es wirkt gerade bei seiner Liebe zu den Lebewesen des Meeres verstörend, als er entlang einer Speisekarte darüber berichtet, wie sie gefangen werden und wie wenige es inzwischen von ihnen gibt. Und als er davon erzählt, dass heutige städtische Kinder keinen Fisch zeichnen können, der dem lebendigen Tier ähnelt, weil sie diese nur als gefrorene quadratische Brocken kennen, weiß man, dass sich hier etwas ändern muss.

Ein sehr lesenswertes Buch, das das Interesse an der noch immer kaum bekannten Meereswelt weckt.


Diverses

Vielen Dank an dieser Stelle an den C.H. Beck Verlag für das Rezensionsexemplar.

Der erste Satz:

Der Felsen war sehr hoch, weshalb ich meine Strandlatschen auszog, um beim Klettern nicht auszurutschen.

Impressum:

Autor: Bill François
Titel: Die Eloquenz der Sardine
Aus dem Französischen: Frank Sievers
Seitenzahl: 234
Verlag: C.H. Beck
Erschienen: 2021
© Verlag C.H. Beck oHG

2 Kommentare zu „Bill François: Die Eloquenz der Sardine

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