Drei Männer, die jeweils an einem anderen Punkt in ihrem Leben stehen: Farouk, ein syrischer Arzt, flieht aus seiner Heimat und verliert dabei alles, Lampy, ein junger Mann, der seitdem ihn seine Freundin verlassen hat, nicht mehr richtig Fuß fassen kann, und John, ein alter Mann, der für seine vielen Sünden um Vergebung bittet. Die drei Geschichten scheinen nicht zusammenzuhängen und werden erst ganz am Ende zusammengeführt. Und dieses Ende hat es in sich. Trotzdem konnte es für mich dieses Buch nicht wirklich retten.
Die beste Geschichte ist mit Sicherheit Farouks. Sein Schicksal reißt einen mit, mit ihm hat Donal Ryan eine Figur erschaffen, der ich gerne länger als gerade mal 75 Seiten lang gefolgt wäre. Die zweite Figur, Lampy, ist danach eine Enttäuschung, der 23 jährige Mann mit seinem Herzschmerz und seinen unkontrollierbaren Ständern ist hin und wieder unterhaltsam, aber nie wirklich interessant. Seine Arbeit im Altersheim bringt dann etwas Schwung in die Geschichte, die Alten, die er im Bus zu diversen Behandlungen fährt, scheinen teilweise mehr Leben und vor allem Lebenslust in sich zu haben, als Lampy. Und dann haben wir noch John, bei dessen Geschichte die Erzählstimme in die erste Person wechselt – vielleicht um ihn uns näherzubringen? Doch obwohl er sich am Ende als wichtige Person in der Geschichte erweist, blieb er mir am wenigsten in Erinnerung.
Manchmal ist es schwer zu sagen, warum einem ein Buch so überhaupt nicht zusagt, auch in diesem Fall kann ich das nicht wirklich benennen. Ich habe aber eine starke Vermutung. Farouks Geschichte, wie gesagt, hat mich angesprochen, doch danach fand ich den Roman nur noch enttäuschend. Was mich wohl am meisten stört, ist, dass gerade diese erste Geschichte am Ende wie ein Fremdkörper, wie ein nachträglicher Gedanke wirkt. Denn das überraschende Ende würde auch ohne Farouk funktionieren. Wäre er nicht da, würden wir seine Geschichte nicht kennen, würde das nichts ändern. Er treibt die Geschichte nicht voran, seine An- oder Abwesenheit hätte nichts anders verlaufen lassen. Das hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack, als wäre Farouk, „der Flüchtling“ notwendig gewesen, um dem Buch zu besseren Verkaufszahlen zu verhelfen. Aber ich will mal nicht so zynisch sein und betrachte Farouks Geschichte als den (gelungenen) Versuch des Autors, sich von irischen Charakteren wegzubewegen und etwas Neues auszuprobieren.
Wäre das hier kein Roman, sondern ein Erzählband gewesen, kann ich mir vorstellen, dass es mir eher zugesagt hätte, so fühlte es sich zu sehr forciert an, irgendwie alles miteinander zu verbinden.
Diverses
Vielen Dank an dieser Stelle an den Diogenes Verlag für das Rezensionsexemplar.
Der erste Satz:
Ich erzähle dir etwas über Bäume.
Impressum:
Autor: Donal Ryan
Titel: Die Stille des Meeres
Übersetzung aus dem Englischen: Anna-Nina Kroll
Seitenzahl: 288
Verlag: Diogenes
Erschienen: 2021
© Diogenes Verlag
Ich kann Deine Kritik nachvollziehen. Ich habe mich teilweise auch geärgert, denn mir gefiel die Sprache des Buches sehr. Auch die Geschichte um Lampy hat mir gut gefallen. Diese Zusammenführung aller Linien kommt dann irgendwie so unvermittelt und unmotiviert, wenn auch mit einem großen tragischen Ende. Viele Grüße
Immerhin haben die zwei der drei Geschichten gefallen! Sonst habe ich bis jetzt nur eher positive Meinungen gesehen, da spielt die von dir erwähnte Sprache sicherlich eine große Rolle, die hat mir tatsächlich auch gut gefallen. Viele Grüße, Eszter